Nicht lesbares Testament

NICHT ENTZIFFERBARES PRIVATSCHRIFTLICHES TESTAMENT

In der erbrechtlichen Praxis kommt es nicht selten zu Streitigkeiten über die Wirksamkeit von handschriftlichen Testamenten, die der Erblasser kurz vor seinem Tode, insbesondere zugunsten familienfremder Personen, errichtet hat.
 
Über einen solchen Fall hatte das Oberlandesgericht Schleswig im Juli dieses Jahres zu entscheiden:
 
Die einzige Tochter ihrer im Juni 2012 verstorbenen Mutter beantragte beim zuständigen Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins, der sie als gesetzliche Alleinerbin ausweisen sollte. Zusammen mit dem vorverstorbenen Vater hatte die Erblasserin eine letztwillige Verfügung über ihre Bestattung, aber keine Erbeinsetzung getroffen.
 
Nachdem der Erbschein antragsgemäß erteilt worden war, meldete sich beim Nachlassgericht eine Pflegekraft, die beruflich und privat in Kontakt zu der Erblasserin gestanden hatte. Sie legte ein Schriftstück vor, das die Erblasserin angeblich am 6. April 2012 errichtet habe und ihre Alleinerbeneinsetzung beinhalten soll. Die Handschrift ist kaum entzifferbar.
 
Nach Meinung der Pflegekraft sei das Schriftstück wie folgt zu lesen:
 
„Ich, R. H., vermache alles meiner K. G., geb. 13. Dezember 1974, R. H.
 06. April 2012“.
 
Die Echtheit und der Inhalt dieses Testaments sowie die Testierfähigkeit der Erblasserin zum angeblichen Zeitpunkt der Errichtung werden von der Tochter bestritten.
 
Dennoch zog das Nachlassgericht den der Tochter erteilten Erbschein zunächst als unrichtig ein. Hiergegen legte die Tochter Beschwerde ein.
 
Die Pflegekraft behauptet, sie habe das streitige Schriftstück von einer anderen Pflegekraft der Erblasserin erhalten. Die Erblasserin habe es im Beisein dieser Zeugin gefertigt. Sie habe es der Zeugin in einem verschlossenen Umschlag mit den Worten übergeben, sie möge ihn nach ihrem Tode der Pflegekraft geben, „die alles bekommen solle“. Zum Zeitpunkt der Errichtung dieses - als Testament auszulegenden Schriftstücks - sei die Erblasserin nicht wegen Demenz oder Leseunfähigkeit testierunfähig gewesen.
 
Das Nachlassgericht erhob Beweis über die Testierfähigkeit der Erblasserin durch Zeugenvernehmung der Ärzte. Ferner holte es über die Lesbarkeit des Schriftstücks ein Sachverständigengutachten ein. Auch der Gutachter konnte es jedoch nicht vollständig entziffern. Deshalb lag nach Auffassung des Nachlassgerichts kein formwirksames Testament vor. Der Tochter sollte daher ein neuer Erbschein erteilt werden.
 
Hiergegen legte nun die Pflegekraft Beschwerde ein, scheiterte damit aber vor dem Oberlandesgericht. Auch dieses verlangte als zwingende Formvoraussetzung die Lesbarkeit der Niederschrift. Ist ein Schriftstück jedoch auch mit sachverständiger Hilfe nicht lesbar, liegt keine formwirksam verlautbarte letztwillige Verfügung vor. Eine Vernehmung der von der Pflegekraft als Zeugin benannten Kollegin dazu, was die Erblasserin hat erklären wollen, kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht. Soweit eine Verfügung unlesbar ist, können außerhalb der Urkunde liegende Umstände und die Aussagen von Zeugen nicht darüber hinweghelfen.
 
Auch dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, seinen letzten Willen unter Beachtung der gesetzlichen Formvorschriften oder sogleich in notarieller Form zu errichten.
 
Ein notarielles Testament beugt Erbstreitigkeiten vor, ersetzt den ansonsten notwendigen Erbschein und ist in der Regel nicht teurer als dieser.
 
Will man von vornherein streitige Fälle wegen eines „untergeschobenen Testaments“ vermeiden, bietet es sich an, einen Erbvertrag zu beurkunden.
 
Die darin enthaltene letztwillige Verfügung des Erblassers wird vertragsmäßig von dem oder den Bedachten angenommen, kann also nicht mehr ohne deren Einverständnis abgeändert oder aufgehoben werden. Insbesondere bei mehreren Geschwistern kann sich jeder darauf verlassen, dass er auch das erhält, was ihm von den Eltern versprochen wurde.
Share by: