Pflichtteilsrecht

DAS GELTENDE PFLICHTTEILSRECHT

Das geltende Pflichtteilsrecht sichert eine Mindestteilhabe bestimmter Personen am Nachlass des Verstorbenen. Warum überhaupt jemand gegen den ausdrücklichen Willen des Erblassers etwas von seiner Hinterlassenschaft erhalten soll, lässt sich vor allem historisch erklären. Pflichtteilsansprüche sicherten vormals in erster Linie den Unterhalt minderjähriger Kinder, die einen Elternteil verloren hatten. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2005 zur Begründung einer Entscheidung, mit welcher eine Verfassungsbeschwerde gegen das geltende Pflichtteilsrecht zurückgewiesen wurde, maßgeblich auf diesen Aspekt familiärer Solidarität abgestellt.
 
Auch wenn dieser Versorgungsaspekt kaum noch der gesellschaftlichen Realität entspricht – die heutigen Pflichtteilsberechtigten haben ein Alter meist jenseits der Vierzig – wird sowohl im Rahmen der anwaltlichen Interessenvertretung nach dem Erbfall, aber auch in der vorsorgenden notariellen Gestaltung von letztwilligen Verfügungen, aufgrund dieser Verfassungsgerichtsentscheidung das Pflichtteilsrecht auch in den nächsten Jahrzehnten zum "täglich Brot eines Erbrechtlers" gehören.
 
Die verfassungsrechtlich garantierte Testierfreiheit, die es jedermann ermöglicht, seinen Nachlass nach freiem Belieben zu verteilen, findet im geltenden Pflichtteilsrecht also seine wichtigste praktische Schranke. Schließt der Erblasser seinen Ehegatten oder einen Abkömmling von der gesetzlichen Erbfolge aus, steht dem Ausgeschlossenen ein Geldanspruch zu. Gleiches gilt sogar für Eltern, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hatte.
 
Dieser reine Geldanspruch - dem Pflichtteilsberechtigten steht keine Mitberechtigung am Nachlass zu (!) - richtet sich zunächst nach der abstrakten gesetzlichen Erbquote des Pflichtteilsberechtigten, also der Erbquote, die gelten würde, wäre er nach den gesetzlichen Vorschriften Erbe geworden. Die Hälfte dieser Erbquote ist der Pflichtteil. Weiterhin richtet sich dessen Höhe nach dem reinen Wert des Nachlasses, also dem hinterlassenen Vermögen nach Abzug von Verbindlichkeiten. Dies ist der sogenannte "ordentliche Pflichtteil". Hat der Nachlass beispielsweise einen Wert von 100.000 € und haben sich Eheleute, wie so oft, wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt, das einzige Kind damit automatisch enterbt, beläuft sich dessen Pflichtteil auf 1/4 (bei gesetzlicher Erbfolge wurde das Kind neben dem Längstlebenden Ehegatten mit einer Quote zu ein zu ½ berufen), also auf einen Geldanspruch von 25.000 €.
 
Darüber hinaus stehen dem Pflichtteilsberechtigten neben diesem sogenannten ordentlichen Pflichtteil eventuell Pflichtteilsergänzungsansprüche zu. Ein Erblasser könnte nämlich angesichts von unliebsamen Pflichtteilsberechtigten auf die Idee kommen, einfach sein Vermögen und damit seinen künftigen Nachlass durch Schenkungen an Dritte zu verringern, so dass sich dadurch im Ergebnis auch der Pflichtteilsanspruch entsprechend mindert oder völlig wertlos ist. Dem hat aber das Gesetz einen Riegel vorgeschoben: Schenkungen innerhalb von zehn Jahren vor dem Tode des Erblassers werden für die Berechnung des Pflichtteils so behandelt, als ob sie noch im Nachlass vorhanden wären. Allerdings verringert sich der so hinzu zu rechnende Wert für jedes abgelaufene Jahr seit der Schenkung um zehn Prozent.
 
In einigen Fällen fängt diese gesetzliche Frist aber überhaupt nicht an zu laufen. Die in der Praxis wichtigsten Fälle sind Schenkungen an den eigenen Ehegatten erfolgt oder die Schenkung einer Immobilie unter einem umfassen Nießbrauchvorbehalt im Rahmen eines Übergabevertrages. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung in Wirklichkeit gar nicht um eine Schenkung, denn der Übergeber, meist die Eltern, bleiben aufgrund des ihnen zustehenden Nießbrauchs „wirtschaftliche Eigentümer“ und der Übernehmer, meist das Kind, erhält die Immobilie praktisch als „leere Hülse“.
 
Da der Pflichtteilsberechtigte oftmals keine Kenntnis von den Vermögensverhältnissen des Erblassers hat, billigt ihm das Gesetz zur Berechnung des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs und des Ergänzungspflichtteils wegen Schenkungen ein Auskunftsrecht gegen den Erben zu. Dieser muss Auskunft über den tatsächlichen Nachlassbestand und die Schenkungen im Rahmen eines von ihm vorzulegenden schriftlichen Nachlassverzeichnisses erteilen und dies auf Verlangen sogar in notarieller Form.
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